Eine Frage der Zubereitung
Zwei Wissenschaftlerinnen des Thaer-Instituts erforschen Ernährungspraktiken aus der Genderperspektive
Suse Brettin und Meike Brückner werden sich ab dem kommenden Herbst den Duft fremder Küchen um die Nasen wehen lassen. Sie werden Menschen bei der Zubereitung von Mahlzeiten zuschauen, vielleicht auch selbst den Kochlöffel schwingen. Und dabei werden sie genau hinschauen, wie die Prozesse des Planens, Einkaufens, Kochens, Essens und Reste- Entsorgens ablaufen und sie analysieren. Denn die beiden Nachwuchswissenschaftlerinnen des Fachgebiets Gender und Globalisierung am Albrecht Daniel Thaer-Institut möchten herausfinden, welche Rolle Nachhaltigkeit bei alltäglichen Ernährungspraktiken in Berliner Haushalten spielt. Denn Konsumentinnen und Konsumenten beeinflussen mit der Wahl eines bestimmten Essens auch die Auswirkungen auf die Umwelt und auf soziale Gerechtigkeit.
Nachhaltige Mahlzeitenkultur
„Bekannt ist, dass Verbraucherinnen und Verbraucher motiviert sind, nachhaltigere Konsumentscheidungen zu treffen und beispielsweise Bio-Lebensmittel oder regionale Produkte kaufen. Es bleibt jedoch zu erforschen, inwieweit alltägliche Ernährungspraktiken mit Rücksicht auf die Umwelt durchgeführt werden“, erklärt Suse Brettin. Wie kann Nachhaltigkeit in Konsum und Ernährungspraktiken befördert werden und somit von einer insgesamt nachhaltigen Mahlzeitenkultur gesprochen werden? Mahlzeiten also, welche sowohl den individuellen Wünschen und Bedürfnissen der jeweiligen Haushalte entsprechen und zugleich möglichst geringe negative Auswirkungen – ökologisch und sozial – haben.
Die beiden Forscherinnen betrachten diese und andere Fragen nachhaltiger Entwicklung aus der Geschlechterperspektive. „Eine aktuelle Zeitbudgetstudie zeigt, dass noch immer vor allem Frauen Mahlzeiten besorgen und zubereiten. Um Aussagen über begünstigende Faktoren für nachhaltige Ernährungspraktiken zu treffen, gilt es somit, die Verquickung mit der vergeschlechtlichten Arbeitsteilung mit zu betrachten“, so Meike Brückner. Wie sehen die Aushandlungspraktiken zwischen den Haushaltsmitgliedern aus, wer übernimmt welche Aufgabe, wer entscheidet, ob Fleisch oder Tofuspezialitäten auf den Tisch kommen? Werden Mahlzeiten nachhaltig, also frisch, saisonal, regional zubereitet, erfordert das auch mehr zeitliche Ressourcen – von meist berufstätigen Frauen. Ist das für sie praktikabel?
Politisierung der Nahrungszubereitung
Ihre qualitativ-partizipative Studie möchten Brettin und Brückner in 40 Berliner Haushalten durchführen, die zentrale Frage wird dabei sein, welchen Einfluss diverse Einkaufsformen auf die Nachhaltigkeit und die Ernährungspraktiken haben. „In den zurückliegenden Jahren sind die unterschiedlichen Möglichkeiten, Nahrungsmittel zu beschaffen, stark angewachsen, man kann online bestellen, Mitglied einer lokalen, von Verbraucherinnen und Verbrauchern geführten Kooperative werden oder Foodsharing-apps nutzen“, erklärt Suse Brettin, die darüber ihre Doktorarbeit schreiben möchte.
Wichtig ist den beiden Nachwuchswissenschaftlerinnen auch, dass das Thema der Nahrungszubereitung aus dem privaten in den gesellschaftlichen Bereich gelangt und politisiert wird, wie das beispielsweise schon durch den Ernährungsrat Berlin passiert, mit dem Ziel ein geschlechter- und sozial gerechtes wie nachhaltiges Ernährungssystem zu etablieren. Die beiden Wissenschaftlerinnen forschen nicht alleine. Ihr Projekt ist Teil eines größeren, europäischen Forschungsvorhabens mit dem Titel „Plateforms“, das im Rahmen vom europäischen Kofinanzierungsnetzwerk SUSFOOD2 seit Mai 2018 gefördert wird. Es hat zum Ziel, die Wechselwirkung zwischen Ernährungspraktiken und sozio-technischen Innovationen bei der Nahrungsmittelversorgung zu untersuchen. Beteiligt an dem Projekt sind auch Forschende von Universitäten in Irland, Italien, Norwegen und Schweden, die ähnliche Studien wie die Berliner Wissenschaftlerinnen in ihren Ländern durchführen werden.
Kommerzialisierung von Blattgemüse
Meike Brückner forschte für ihre Doktorarbeit im Forschungsverbund „Hortinlea – Diversifying Food Systems“. „Wir haben in einem Teilprojket zusammen mit kenianischen Partnerinnen untersucht, ob die marktwirtschaftliche Aufwertung von bisher wenig kommerzialisierten afrikanischen Blattgemüsesorten dazu beiträgt, die Lebenssituation von Produzenten – die meistens Produzentinnen sind – zu verbessern.“ Eine Grundannahme der agrarökonomischen Forschung laute dabei, dass der Marktzugang von Kleinbauern dazu beitrage, ihre Einkommenchancen zu verbessern. Dies treffe aber nur bedingt zu. „Die Kommerzialisierung des Blattgemüses erschwert häufig den Zugang, insbesondere für ärmere Frauen und Haushalte.“ Denn mit erhöhter Nachfrage wächst auch der Preis. „Mit der Kommerzialisierung ändert sich die Geschlechterordnung. Während das Gemüse früher zumeist von Frauen angebaut wurde, drängen nun auch Männer in die Produktion, und vor allem sie verbessern ihre Einkommenssituation.“ Frauen profitieren von der neuen Popularität des Blattgemüses, wenn sie sich beispielsweise für die Produktion in Kollektiven zusammenschließen.
„Das Blattgemüse wird von jungen Menschen häufig als zu bitter wahrgenommen. Dabei ist der letztendliche Geschmack eine Frage der Zubereitung, ein Wissen, über das ältere Menschen – vor allem Frauen – verfügen und das nicht ausreichend weitergegeben wird“, erklärt Meike Brückner. Die Zubereitung ist sehr zeitintensiv, da die Blätter einzeln gezupft werden müssen und die Erde gut ausgewaschen werden muss. „Insbesondere in urbanen Haushalten, in denen Frauen am Berufsleben teilnehmen, wird dieser Schritt, wenn möglich, ausgelagert und meist an andere Frauen abgegeben.“ Somit wird die zentrale Rolle der Frauen bei der täglichen Ernährungssicherung deutlich und muss bei Diskussionen um agrarische Entwicklung und Kommerzialisierung mitgedacht werden.
Autorin: Ljiljana Nikolic