Von Bich Ha Ngo
„Das macht Spaß und weil es auch gesund ist. Und das ist etwas was man selber macht und sieht wie das wächst. Und das macht auch jeden Tag Freude, wenn man guckt und es wächst und blüht und erntet.“ (Anonym)
Das obige Zitat ist ein Ausschnitt eines Gespräches mit einer Teilnehmer*in, das ich im Rahmen meines Studienprojektes an der HU Berlin am Fachgebiet Gender und Globalisierung geführt habe. Es spiegelt die Freude an dem individuell subsistenziellen Anbau eigener Lebensmittel im Schrebergarten wider.
Während derzeit viele neue digitale Plattformen der Lebensmittelversorgung wie Biokisten oder andere Lieferdienste entstehen, sind Schrebergärten ‚analoge‘ Orte der Lebensmittelversorgung. Ausgangspunkt des Studienprojektes ist das Projekt PLATEFORMS, welches sich genau mit der Diversität solcher Plattformen beschäftigt und untersucht, inwiefern Ernährungspraktiken in Haushalten von solchen sozio-technischen Innovationen beeinflusst werden. Welche Potentiale und Herausforderungen ergeben sich in den Haushalten? In diesem Zusammenhang kann z.B. auch ein Schrebergarten als eine individuell genutzte Plattform der Lebensmittelversorgung verstanden werden.
Im Rahmen meines Studienprojektes ging es mir primär darum, den Bedeutungszusammenhang zwischen Ernährung und Migration im urbanen Raum Berlins zu erforschen. Da es insbesondere im deutschsprachigen Raum dazu bisher kaum Literatur gibt, habe ich mich dazu entschieden, das Feld explorativ zu erforschen. Das bedeutet vielmehr, dass ich mich dem noch sehr unerforschten Forschungsgebiet mit wenig Vorannahmen genähert habe und mein Wissen aus den Interviews generiert habe.
Wieso genau dieser Zusammenhang und wie geht das überhaupt zusammen?
Im Zuge der Geschichte hat sich Berlin, als Hauptstadt Deutschlands, in einen kosmopolitischen Schmelztiegel entwickelt, in dem eine Großzahl von Menschen mit Migrationsbiographie leben. Essen strukturiert als alltägliche Praxis den Lebensalltag aller Menschen. Im Rahmen der Migration vieler Menschen nach Deutschland bzw. Berlin ist die Essenspraxis ein Teil an dem Menschen festhalten um ihre Erinnerungen an die Heimat zu bewahren. Die zahlreichen Supermärkte mit asiatischen und afrikanischen Produkten sind aus Berlin nicht mehr wegzudenken und spiegeln die entsprechende Nachfrage der Bewohner*innen wider. Um diesen bedeutenden Teil der Alltagspraxis von Menschen mit Migrationsbiographien zu untersuchen, habe ich mich auf die individuelle Lebensmittelproduktion im urbanen Raum konzentriert. Mir war es ein besonders wichtiges Anliegen den Zusammenhang von Migration und Ernährung zu erforschen, da die Dimension eine, im Zuge der vielen Migrationsbewegungen, unabdingbare ist und in der bisherigen Forschung eine sehr geringe Aufmerksamkeit erfährt.
Mein Forschungsinteresse lag dabei im Spezifischen auf dem Lebensmittelanbau in Berliner Schrebergärten. Ein Schrebergarten ist ein definiertes Stück Land, das sich neben vielen weiteren anderen Kleingärten als ein Teil einer Kleingartenanlage bzw. einer Gartenkolonie versteht. Von den insgesamt 910.000 Schrebergärten beherbergt Berlin mit 67.000 Parzellen im Bundesvergleich die größte Anzahl an Gärten (Bundesverband Deutscher Gartenfreunde, 2018; Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung). Innerhalb meines Forschungsprojektes betrachtete ich den Schrebergarten als Mikroform und sozio-kulturellen Ort der Erholung und des Lebensmittelanbaus, der vor allem für den deutschen Kontext eine historisch bedeutende Rolle spielt und den Bewohner*innen im urbanen Raum einen individuellen Naturraum bietet.
Im Rahmen meiner Forschung ergab sich mir die Möglichkeit mit zwei Menschen der jeweils ersten und zweiten Generation aus der Türkei und einer Person der ersten Generation aus Italien ins Gespräch zu kommen. Mein Erkenntnisinteresse lag primär darin zu erforschen, was der eigene Anbau von Lebensmitteln in ihrem Garten für die jeweilige Lebensrealität bedeutet. Auffallend innerhalb der Gespräche waren die sich überschneidenden Themen aller Personen. Demnach ist der Garten für alle drei befragten Person nicht nur ein Ort der Erholung; alle Drei betonen zudem die Relevanz die eigenen Obst- und Gemüsesorten aus ihrem Heimatland anzubauen.
„Aber meistens wenn wir in der Türkei sind, bringen wir das mit. Bohnen oder andere Sachen. Obst habe ich auch aus der Türkei mitgebracht. Meine Aprikosen habe ich aus der Türkei mitgebracht und diese Pflaumen da. Das ist auch aus der Türkei, aber das hat jemand anderes mitgebracht und [hier] habe ich Weintrauben. Das ist wieder aus meinem Gebiet vom Schwarzen Meer. Das erinnert mich auch an meine Kindheit und es hat auch einen anderen Geschmack.“ (Anonym)
Diese Betonung auf dem Anbau der eigens mitgebrachten Sorten liegt darin begründet Kindheitserinnerungen und Erinnerungen an die Heimat aufrechtzuerhalten. Des Weiteren beschrieben die befragten Personen ihren Garten als Ort der Reproduktion, einen Ort an dem sie sich nicht nur vom städtischen Leben erholen, sondern auch ihre eigene Nahrung produzieren können, sich also eine eigene ‚Lebensmittelplattform‘ schaffen. Die besondere Betonung lag an dieser Stelle, insbesondere von zwei Personen stark hervorgehoben, auf ausschließlich ökologischen Anbau. Das Teilen von überschüssiger Ernte stellte sich als ein relevantes Thema im Rahmen der Nahrungsmittelproduktion dar.
„Wenn wir hier mal Besuch haben, auch aus der engeren Verwandtschaft. Die können sich dann natürlich alles nehmen. Das ist da dann mehr dieses teilen, nehmen und geben.“ (Anonym)
Eine weitere Person beschrieb ähnlich, das Teilen ihrer Ernte mit anderen Menschen aus der türkischen Gemeinschaft innerhalb des Kleingartens. Die Ernte mit der deutschen Gemeinschaft zu teilen, schien sich bisher als ein schwieriges Hindernis darzustellen.
Alles in Allem haben die aus dem Projekt entstandenen Gespräche die Notwendigkeit gezeigt, dass zukünftige Forschungsperspektiven aus einem Migrationskontext noch schärfer unter die Lupe genommen werden sollten, um den vorherrschenden Diskurs der Lebensmittelproduktion und ihrer Versorgungskanäle noch weitreichender zu öffnen und marginalisierte Perspektiven miteinzuschließen und sichtbar zu machen. Die Arbeit hat gezeigt, dass die individuellen Perspektiven auf das Thema Ernährung stark von der eigenen Autobiographie geprägt sind und zudem einen Teil der eigenen Identität darstellen.
Des Weiteren konnte gezeigt werden, dass die analoge Produktions- und Versorgungsplattform Schrebergarten den Befragten die Möglichkeit bietet sich selbstbestimmter und diverser zu ernähren, vor allem weil sich die Befragten selbst eine Versorgungsstrukturen schaffen können, die ihnen die ‚gängigen‘ Plattformen nicht bieten. Ebenso wichtig ist zu betonen, dass die Gärten eine entfaltende Wirkung haben und sich somit als Plattformen verstehen lassen, denn sie gehen über den Eigenkonsum hinaus, indem die Ernte mit anderen geteilt wird.
Das Projekt wurde von Meike Brückner und Suse Brettin im Rahmen des Projektseminars „Qualitative und partizipative Methoden der Feldforschung“ betreut.